Hans-Willi Notthoff
Gisela Elbracht-Iglhaut
In: CASINO, Verlag Peter Tedden, Düsseldorf 2016
„Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen.
Paul Klee am 16. April 1902
Sie hat mich für immer und weiß das. Das ist der glücklichsten Stunde Sinn: Ich und die Farbe sind eins.“
Hans-Willi Notthoff ist ein Vollblutmaler, der die Farbe, als essentielle Ingrediens der Bilder, in den Fokus seiner Arbeit stellt. Seit der Antike beschäftigt sich der Mensch mit diesem Phänomen.
Die Philosophen Platon und Aristoteles, Newton und Goethe als Denker der Neuzeit, renommierte Maler des 20. Jahrhunderts wie Wassily Kandinsky, Johannes Itten oder Josef Albers untersuchten die Farbe als Material und Symbol und entwarfen umfassende Farbtheorien, die bis heute Grundlage der Forschung sind. Farbe und ihr Einsatz in der Malerei, im Mosaik, in der Glasmalerei und im textilen Bereich prägen wesentlich die Kulturgeschichte des Abendlandes. Im Christentum waren farbige Fenster Teil einer komplexen Ikonografie des Lichtes und integraler Bestandteil liturgischer Abläufe.
Für die abstrakte Kunst diente die theoretische Auseinandersetzung mit Farbe maßgeblich als Basis für die Entstehung neuer Stilrichtungen. Monochrome und meditative Positionen, expressive Abstraktion und die Farbfeldmalerei von Rothko bis Albers bestimmen die Kunst der Nachkriegszeit. Josef Albers (*1888 in Bottrop), publizierte 1963 sein Buch „Interaction of Color“ und stellte dort seine wahrnehmungs-theoretischen Überlegungen dar, die Basis seiner Farbfeldstudien sind. Albers untersuchte die Wechselwirkung von Farbbeziehungen und differenzierte zwischen „actual fact“, den objektiven optischen Gegebenheiten und „factual fact“, der subjektiven sinnlichen Seherfahrung. Damit formulierte er allgemeingültige Thesen, die auch für das Werk Hans-Willi Notthoffs anwendbar sind.
Notthoff, der sein Studium bei dem renommierten Farb-Raum-Körper-Maler Gotthard Graubner absolviert hat, setzt sich intensiv mit den vielfältigen Aspekten der Farbtheorien auseinander und analysiert mit seiner Malerei die Wirkung und den Zusammenklang von Farbe.
Die aktuellen Werkreihen konzentrieren sich konsequent auf eine äußerst reduzierte Formensprache. Kreise dienen als Forschungsfelder, die als Hauptprotagonisten variationsreich auf der Leinwand erscheinen. Der Künstler positioniert die farbigen runden Scheiben in vielfältigen Kompositionsschemen auf dem Malgrund. Hans-Willi Notthoff schafft ganze Bildserien, die das gleiche Grundformat haben. So wird die Leinwand zur Experimentierfläche für den Maler, der die Kreise variierend arrangiert.
Folgt die Anordnung formal der vertikalen Mittelachse des Bildes, ergibt sich eine lineare Statik und spürbare Ruhe der Kreise, die aus einem inneren Kern und äußeren, konzentrisch angelegten Ringen bestehen. Die Kombination der Farben legt der Maler intuitiv fest, folgt aber bei der Auswahl rational den Gesetzmäßigkeiten diverser Farbtheorien, über die er umfassende Kenntnisse hat.
Fehlt die exakte kompositorische Orientierung der Objekte an der Bildmitte ist die Wirkung der runden Elemente im Bildraum spannungsreich und impulsiv. Die farbigen Scheiben fliegen schwerelos und energiegeladen über die Leinwand und stehen in spürbarer Relation zueinander. Statt zentrierter Starre bestimmt Dynamik und Bewegung das Geschehen. Die bunten Kugeln agieren, schweben und rotieren nach oben und unten, oder seitwärts über die Grenze des Bildraumes hinaus. Die Farben flirren und flimmern, strahlen und leuchten und präsentieren sich als eigenständige Körper im polyphonen Zusammenspiel.
Die Kompositionen können pastellfarben und homogen sein, ebenso intensiv farbig und kontrastreich. Im Grenzbereich zu dunklen Farben wirken lichtere Töne noch heller und andersherum. Die Valenz der Couleur verändert sich mit dem jeweiligen Umfeld. Der Maler erforscht das ganze Spektrum der Palette und analysiert Farbe als Material, untersucht die körperliche Präsenz und ihre psychologische Wirkung.
Die Acrylfarbe wird teilweise lasierend aufgetragen, lässt untere Malschichten durchscheinen und addiert so zwei Ausgangsfarben zu neuen Werten. Der Betrachter kann die prozessuale Entstehung des Bildes nachverfolgen, erkennt wo der Künstler mit breitem Quast den ersten Ring gezogen hat und wo den nächsten. Ein Zirkel sorgt für akkurate Symmetrie und präzise Rundungen. Die Bildrhythmik ist mal gleichmäßig getaktet, dann wieder unregelmäßig und inkonstant. Die geometrischen Formen und ihre Anordnung bestimmen das physische Raumgefüge der Werke. Das Klangspektrum der Farben ist endlos und evoziert Wärme, Kälte, Schwere, Leichtigkeit, Melancholie oder pures Glück. Hans-Willi Notthoff scheint das Wesen der Farben psychologisch zu ergründen.
Das Erfassen der Bilder erfordert Logik, ästhetisches Gespür und ein hohes Maß an Sinnlichkeit. Der Betrachter kann sich sowohl intellektuell als auch emotional einbringen. Caspar, der dreizehnjährige Sohn des Künstlers, deutet die Bilder seines Vaters als „Planeten im Universum“, die eine große Ruhe ausstrahlen. Vielleicht assoziiert das Ursymbol des Kreises Dinge wie den Kosmos, unser Sonnensystem oder den Mond.
Tatsächlich aber hat die Farbe im Werk von Hans-Willi Notthoff die Gegenständlichkeit überwunden und steht in der Hierarchie über der figürlichen Welt, um als autonome Instanz auf das reine SEHEN als elementaren Akt zu verweisen.
Gisela Elbracht-Iglhaut www.kunstmuseum-solingen.de
… außer Kontrolle
Heiner Frost interviewt Hans-Willi Notthoff
In: Paint, 2011
Ein Atelierbesuch ist Immer etwas Besonderes: Die Visite beim Unfertigen – eine Art von Ausflug in den Künstler-Kopf. Gleichzeitig ist ein Atelier kein Ort des Heiligen. Es ist eine Werkstatt. Eine Verdauungsmaschine. Nicht mehr. Nicht weniger.
Setz dich
Wo bei anderen Schraubenschlüssel liegen oder Sägeblätter, finden sich der Pinsel, Farben, meist eine Musikanlage, Werkzeuge aller Art, Keilrahmen, Leinwände und -fast immer eine Kaffeemaschine, Hans-Willi Notthoffs Atelier ist keine Ausnahme. Es ist ein Protokoll seiner Arbeit. Die Arbeit der Dinge heißt einer seiner Ausstellungstitel. Notthoff als erster Zeuge beim Entstehen seiner Kunst. „Setz dich“ sagt er. Auf dem Tisch stehen Wasser eine Schale mit Oliven – ein bisschen Fingerfood. Wie nimmst du deinen Kaffee?“, fragt Notthoff. „Schwarz. Ohne Zucker.“ Also: Reden wir über Kunst …
Streifen, Sterne, Kreise
Eine Zeitlang habe ich diese Streifen Bilder gemalt, die unter dem Werkbegriff Cargo laufen. Die waren sehr kontrolliert. Da habe ich mit einem sehr breiten Pinsel liegende Leinwand bearbeitet.
Bei dieser Art des Auftragens kontrollierst du natürlich die Parameter sehr genau. Was kommt wo hin? Wie viel trage ich auf?
Irgendwann entstand dann der Wunsch nach einer Arbeitsmethode, die ich weniger kontrollieren kann. Ich weiß nicht mehr genau, wie das passiert ist, aber ich habe dann angefangen mit Tesa-Krepp-Streifen Linien auf Bilder zu kleben – zu übermalen und die dann teilweise abzuziehen oder erst drauf zu lassen, denn an der Stelle, wo diese Streifen waren, verändert sich natürlich die Farbe oder sie kommt von unten durch. Da entstehen zwangsläufig Schichten. Überlagerungen. Diese Technik habe ich eine Zeitlang ausgearbeitet.
Nach den Tesa-Streifen habe ich zunächst mit Kreuzstreifen gearbeitet (das passierte ungefähr zu der Zeit als Deutschland Papst wurde) – danach wurden es Sterne. Wenn du beim Stern ankommst, bist du eigentlich schon fast beim Kreis. Ich habe mir also große Rollen mit Klebefolie besorgt und Kreise ausgeschnitten. Die habe ich auf die Leinwand geklebt und übermalt. Das ist ja so eine Art Umkehrprozess des Malens. Wenn du nach dem Übermalen die Form abziehst, ist darunter ja nicht die gemalte Farbe, sondern der Untergrund. Wenn ein solcher Prozess aber in vielen Schichten stattfindet, ist das eine ziemlich vielschichtige Angelegenheit. Während der Entstehung sehe ich nie das ganze Bild. Was ich sehe, ist eine Art von Zwischenzustand. Das erfordert Vorstellungskraft. Du fragst dich natürlich während der Entstehung, wie das am Ende aussieht. Die Kontrolle ist auf eine andere Ebene verlagert. Wenn du die Farbe direkt auf eine Leinwand aufträgst, ist das eine wesentliche unmittelbarere Form des Gestaltens.“
Das Bild zeigt sich
Durch das Abkleben kommt ein zusätzliches Moment in den Arbeitsprozess. Das alles hebt aber die innere Logik des Arbeitens nicht auf. Ich meine die Logik der Farben: Die Art und Weise, wie sie aufeinander reagieren – miteinander kommunizieren. Ob sie sich optisch mischen oder decken. Ich muss dann entscheiden: Will ich eher einen Kontrast, oder geht es um einen chromatischen Übergang. Ich kann all das bestimmen, aber es bleibt immer ein Rest Unsicherheit, der durch das Verfahren vorgegeben und natürlich gewollt ist
Schließlich ist dieser finale Augenblick erreicht – der „Jetztreichtsmoment“. Dann beginnt das Warten. Die Farbe muss ja erst trocknen, bevor ich die Folien abziehen kann. Meist denke ich dann: jetzt müsste ich Leute einladen und ein Fest feiern. Eine Performance daraus machen: Die Folie wird entfernt: Das Bild zeigt sich. Manchmal ist die Spannung so groß, dass ich es kaum aushalte und die Folie nass abziehen. In jedem Fall gibt es für diesen Augenblick zwei Aggregatzustände. Der eine ist Wow!“ – der andere geht eher in Richtung Enttäuschung. Zum Glück ist es meistens „Wow!“ Manchmal passiert es auch, dass ich ein neues Bild am Abend enttäuscht verlasse. Am nächsten Morgen lacht es mich an.
Diese Art zu arbeiten hat für Außenstehende vielleicht etwas mit Kontrollverlust zu tun – für mich bedeutet es eher eine Art Urvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Der Teil der Arbeit, der sich der Kontrolle entzieht, schafft gleichzeitig den Raum für neue Möglichkeiten. Das ist für jeden Künstler ein wichtiger Bestandteil der Arbeit: Das Öffnen neuer Räume. Wenn du ständig in denselben Bahnen unterwegs bist, tritt eine Art von Stillstand ein.“
Form oder Farbe
„Wenn ich mit einem Bild beginne, gibt es natürlich eine Idee, in welche Richtung ich gehen möchte. Kann sein, dass ich das Bild auf dem Grundklang Gelb aufbaue. Natürlich kannst du ein Bild von verschiedenen Standpunkten aus denken. Aber in dem Augenblick, in dem ich Kreise ausschneide, steht doch eines fest: Die Farbe kann ich ändern. Ein Kreis bleibt immer rund. Es tritt also ein von mir festgelegtes Regelwerk in Kraft. Dieses Regelwerk heißt beispielsweise Kreis. Bei aller Aufgabe der Kontrolle ist da noch immer sehr viel vorgegeben.
Wenn alle Regeln wegfallen, entsteht Beliebigkeit. Fest steht aber doch: Ich bestimme das Format. Ich bestimme, wie groß die Kreise sind. Ich bestimme das malerische Medium, also: Leinwand, Acrylfarbe, Ölfarbe – das alles kontrolliere ich, durch bewusste Auswahl. Die Beschränkung auf den Kreis ist ein Gewinn. Natürlich könnte ich andere Formen einsetzen – vielfältigere Strukturen schaffen. Das würde allerdings etwas Narratives nach sich ziehen.
Vielleicht ist es genau das, was mich dann stören würde. In meinen Bildern gibt es eine illusionistische Räumlichkeit. Es gibt fliegende Apfelsinen. Aber am Ende nehmen sich die Bilder immer wieder zurück – kehren heim zum Hauptthema von Farbe und Farbraumwirkung.“
Über die Dörfer
„Im Grunde bin ich ein Junge vom Dorf. Früher habe ich draußen gemalt. So habe ich mit dem Studium angefangen. Ich habe mich dann völlig davon wegbewegt. Dann hatte ich den Punkt erreicht, wo ich aus der Beobachtung von Landschaft, Architektur – also von draußen gesehenen Dingen – Abstraktionen entwickelt habe. Es entstanden Bilder, die sich sehr vom Vorbild lösten, aber immer noch daran orientiert waren.
Plötzlich fand ich mich in einer Art Falle wieder. Einerseits wollte ich mich noch immer an der Quelle des Gesehenen inspirieren – andererseits ging es mir längst um etwas, das ich mal autonomes Bild nennen möchte ein Bild also, das auf nichts anderes verweist als auf sich selbst. Mitte der Neunziger bin ich nicht mehr weitergekommen. Ich bin dann dazu übergegangen, wieder draußen zu malen … hab‘ mich hingestellt und den Baum gemalt – die Straßenbahn, den Blick auf den Rhein. So habe ich mir die Freiheit geschaffen, all das anschließend im Atelier völlig außen vor zu lassen. Da fand gewissermaßen die Konzentration auf Farbe und Fläche statt. Die abbildende Ebene – das Erzählerische also – blieb quasi draußen, ohne dass ich darauf verzichten musste. Diese Trennung hat mir geholfen. Sie hat ein verzichtsloses Gleichgewicht hergestellt. Ich versuche heute noch, mindestens einmal im Jahr einen solchen Arbeitsblock einzurichten, bin dann draußen und beschäftige mich mit dem Erzählen. Es geht, damit wir uns nicht falsch verstehen, nicht um die Unterscheidung von draußen und drinnen. Es geht im Kern darum, einen Arbeitsraum außerhalb der gewohnten Atmosphäre entstehen zu lassen.
Ich kann das im alltäglichen Leben nur schwer unterbringen. Ich muss dann einfach weg. Muss eine Woche in Holland sein. In Italien. Irgendwo.“
Regelmaß
Ich muss jeden Tag ins Atelier. Das ist manchmal mehr, manch mal weniger. Für mich ist das Regelmaß sehr wichtig. Es geht darum, dass der Faden nicht reißt. Ich befasse mich täglich mit meinen Bilder – knüpfe immer wieder an, mache immer wieder weiter. Du malst eine Schicht. Dann wartest du. Warten ist kein denk- und arbeitsfreier Zustand. Es geht immer um diesen Spannungsbogen …“
Abspann
Haben die Bilder gehört, was Notthoff über sie sagt? Vielleicht sollten wir noch irgendwo was essen gehen. „Zurückkehr“ ins Leben. Die Leinwände können ausruhen. Es bleibt die Frage nach dem Eigentlichen. Findet es im Bild statt? „Wo gehen wir hin?“ „Vielleicht zum Chinesen.“
Heiner Frost www.heinerfrost.de
CARGOSHIFT
Thomas Hirsch
In: CARGOSHIFT, Verlag Peter Tedden, Düsseldorf 2008
Hans-Willi Notthoff malt Bilder, die nichts außer sich zeigen, über eine große Klarheit und Direktheit verfügen und ausgesprochen komplex sind. Monochrome Flächen und Bahnen verhalten sich zueinander, sind übereinandergesetzt, stehen auf Abstand oder gehen Verbindungen ein. Unterschiedliche Verfahren des malerischen Vortrags kommen zur Anwendung. Der einzelne Pinselstrich bleibt als Handlung sichtbar, der Bildaufbau ist als Prozess gegeben. Lang gezogene Bahnen folgen aufeinander und vermitteln ein konstantes Strömen; Farben legen sich wie Schleier übereinander, so dass separate Flächen entstehen, oder kantig gefasste, als Kreuze oder Sterne lesbare Formationen sind in ein malerisches Kontinuum eingefügt. Die Vitalität und die Dynamik des Geschehens aber stehen in Relation zur formalen Bildlösung.
Derartige Sachverhalte gehören zu den Primärbefunden der Bilder, die im Werk von Hans-Willi Notthoff seit einigen Jahren im Vordergrund stehen und sich selbstreferentiell, fern jeder Abbildung, ereignen und die Farben von der Vorstellung eines »Anderen« trennen. Ein kritischer Umgang mit den visuellen Phänomenen lässt sich ebenso auch für Notthoffs gegenständlich motivierte Beiträge feststellen. Hinzuweisen wäre auf die Malereien, die, Anfang der 1990er-Jahre entstanden, 1994 im Kunstverein Bremerhaven zu sehen waren und von der Struktur funktionaler Architekturen ausgehen. Gegeben sind Hausformen, Baukörper, aufgefächert in gekippte Flächen und dadurch in die Abstraktion überführt, in einer tonigen Verhaltenheit. Zu konstatieren ist für diese Bilder ein Zueinander von lasierend und opak, ein Aufbrechen und Durchblitzen zuvor angelegter Flächen, ohnehin ein experimenteller und variantenreicher Umgang mit den bildnerischen Konstituenten und ein Verspannen der Formen und Farbbewegungen im Bildraum – schon das sind Aspekte, die auch künftig das Werk von Hans-Willi Notthoff kennzeichnen und in wechselndem Anteil wiederkehren.
Unmittelbarer sind die jüngeren realistischen Darstellungen gegeben, welche bis heute entstehen. Im Gegensatz zu den gegenstandsfreien Bildern, die Notthoff im Düsseldorfer Atelier erstellt, sind sie unterwegs gemalt, vor Ort: Zu sehen sind südliche, in den letzten Jahren ausnahmslos italienische Landschaften sowie Ansichten von Gebäuden, weiterhin von Innenräumen. Die Bilder sind häufig kleinformatig, sie verhalten sich in der summarischen Erfassung, die aber Details fokussiert. Aus der situativen Wahrnehmung heraus finden Verknappungen statt, wobei Helligkeit und Verschattung im Bild selbst eine wesentliche Rolle spielen. Verharrend zwischen Subjektivität und Objektivität, kennzeichnet die Darstellungen eine Genauigkeit im Hinblick auch auf Wiedererkennbarkeit. Und sie richten sich gegen alle zeitgenössische Geschwindigkeit, insistieren auf dem aufmerksamen Registrieren und tragen noch die Nachdenklichkeit der Beobachtung in sich. Notthoff geht verschiedene Motive und Szenarien wiederholt an, zeigt sie aus unterschiedlichen Perspektiven und hinterfragt dabei jede konventionelle Lesart. So hat er diese Bilder auch installativ (an der Wand auf verschiedenen Höhen und in wechselnder Häufung) und mit seinen gegenstandsfreien Malereien angeordnet. Damit aber wird der Blick auf Zusammenhänge gelenkt, die grundsätzliche Überlegungen in Notthoffs bildnerischer Konzeption und der sensitiven Wahrnehmung äußerer Umgebung berühren. Beispielsweise sind bei den realistischen Darstellungen kantige Formationen der Gebäudeteile abgesetzt; Notthoff notiert einzelne Partien als geschlossene monochrome Flächen. Die Wechsel der Farbformen abstrahieren das Bildgeschehen augenblicklich. Evident ist hier die Erfahrung, dass Gegenstand und Natur in eine Vielzahl separater koloristischer Phänomene zerfallen und die autonome Setzung der Nucleus aller Bildhaftigkeit ist.
In gewissem Sinne greifen dies nun die Bilder auf, die einzig aus dem Zueinander farbiger Felder und Streifen bestehen und durchgehend mit CARGO betitelt sind. Hatten diese Bilder anfänglich einen konkreten Bezug, von dem sich der Titel herleitet – die farbigen, über- und nebeneinander platzierten Container auf den Schiffen – so haben sie sich mittlerweile auch von dessen Prinzip des Bildaufbaus gelöst. Das Bild konstituiert sich aus der Setzung von Farbbewegungen, die horizontal oder vertikal oder schräg – fast immer in eine Richtung – verlaufen. Einzelne Bahnen können das gesamte Format durchmessen, meist aber schließen zwei verschiedenfarbige Felder aneinander. Bei einem Teil der Bilder wirkt die Anordnung höchst akkurat, die Ränder sind bündig beschlossen. Dann wieder kennzeichnet die Bahnen etwas Flüchtiges, als wären sie in raschem Hin und Her gezogen. Sie wirken mitunter so, als seien sie innerhalb eines fortsetzbaren Geschehens als Ausschnitt genommen, andererseits definiert die Tiefe der Kanten die Darstellung als abgeschlossenes Bild. Die Farbigkeiten sind kontrastierend gesetzt, wechseln noch zwischen Kalt- und Warmtönen, stark und verhalten. Die Flächen sind unterschiedlich geschlossen und transparent, die Leinwand kann als ausgesprochen stofflich empfunden werden. Zwischen der gestrichenen Bahn blitzt die untere Schicht durch und steht nun auf der gleichen Ebene. Das An- und Absetzen des Pinsels bleibt meist sichtbar im Zusammenspiel mit der Farbpräsenz, die aus der Farbmenge und dem Druck gegen die Leinwand resultiert.
Grundlegend beim Bildaufbau und im Zueinander der Farben, mithin als Vorgang der malerischen Handlung, ist das Übereinander der Farbbahnen und -flächen, wobei die späteren Bahnen die Flächen lediglich partiell bedecken oder – umgekehrt – über sie hinaus gestrichen sind und noch mit weiteren Farbflächen reagieren. Indem aber spätere Schichten nicht ganzflächig, sondern nur partiell frühere verschließen, scheinen die Ebenen mitunter mit räumlichem Abstand voreinander zu stehen. Im übertragenen Sinne beschreiben die lang gezogenen, als aktive Bewegung erfahrbaren Bahnen ein entschleunigtes Sehen; das Wahrnehmen ist noch an Zeit gekoppelt. Immer aber verhandeln Notthoffs Bilder ihren eigenen materiellen Bestand, ihre Konstituenten, mit denen sie eine reiche bildimmanente Anschaulichkeit erschaffen.
Dies lässt sich bereits an vermeintlich »einfachen« bildnerischen Findungen feststellen, bei denen infolge unterschiedlicher Maßnahmen des Übereinanders und Nebeneinanders von Farbflächen vier Quadranten vorliegen. Die Tafeln (S. 20/21) besitzen das gleiche Format (85 x 65 cm) und sind in den Jahren 2006/07 entstanden. Sie gehören zu einer Werkgruppe und unterscheiden sich doch wesentlich.
Der einen Tafel liegt ein gleichmäßiger Auftrag zugrunde. Der Duktus bleibt verhalten und tritt wie fein gewebte Streifen auf, die matt in der Bildfläche stehen. Während die Felder horizontal ohne sichtbare Überschneidung anschließen, findet in der Vertikalen eine fetzenartige Überlagerung statt, die zwischen Oben und Unten austariert ist. Die vier Felder sind aus flächigen Übermalungen entstanden, wie die durchlaufenden Horizontal- und Vertikalbewegungen zu erkennen geben. Oben befinden sich ein blaues und ein orangenes Feld und im unteren Bereich ein grünes und ein gelb-orangefarbenes Feld, vereinzelt taucht noch das ungebrochene Gelb auf, das die Aufhellung der unteren Quadranten bewirkt. Vor allem die Randbereiche liefern weitere Hinweise auf die Farben, welche in den unteren Schichten angelegt sind, und dabei vermittelt dieses Bild eine lichterfüllte Leichtigkeit, ein geradezu immaterielles Schweben.
Bei der anderen Tafel (S. 9) sind die oberen Quadranten fast doppelt so lang wie die unteren und die linken breiter als die rechten. Dadurch ergibt das rechte untere Feld, bei dem sich das Gelb zudem als homogene Fläche schließt, fast ein Quadrat. Zwischen den Strichen des oberen linken Feldes schaut das Rosa der rechten Hälfte durch, also auch hier entstehen der warme Gelbton wie auch die Quadranten selbst aus einer partiellen Schichtung; am linken oberen Rand ist noch ein Streifen eines unterlegten Rot auszumachen. Das Feld selbst scheint in unterschiedlich bündigem Auftrag der in etwa gleich breiten Striche überaus schnell angelegt. Ganz anders tritt die dunkelgrüne Fläche darunter auf, die aus wenig ausfahrenden gleichmäßigen Bewegungen in aquarellartigem Auftrag besteht, auch hier schaut – wie hinter einem Vorhang – eine hellere Schicht durch, die Anteile der anderen Farben besitzt. Zu untersuchen wäre nun, wie die Farbbewegungen zueinander stehen, sich im Aufeinanderstoßen und Einsetzen verhalten. Notthoff praktiziert hier ein variables Vorgehen, die Felder besitzen jeweils eine eigene Gestimmtheit.
Während das erste Bild also eher auf Einheitlichkeit und eine Durchgängigkeit setzt, tritt das zweite experimentell und disparat auf. Jedoch sind beide Malereien gleich ausgewogen, und nichts nimmt sich an diesen Bildern wichtig. Zum visuellen Eindruck tragen die Intensität der Farben und die Dichte und Durchlässigkeit des Farbauftrags und die Größe der Flächen im Bildgeschehen bei. Von Bild zu Bild liegen unterschiedliche Temperierungen vor, die sich auch zur gleichen Zeit einstellen können: zwischen introvertiert, harmonisch und expressiv, bewegt; zwischen Ruhe und Unruhe, Statik und Bewegtheit.
In der seit 2007 entstehenden Werkgruppe SHIFT hat Hans-Willi Notthoff Maßnahmen eingeführt, welche infolge von Abklebungen den Verfahren der Aussparung und kontrastierenden Setzung weiter nachgehen. Unter den Klebestreifen sammeln sich noch Farbreste. Im Abnehmen entstehen Geraden, die eine eigene Stofflichkeit bewahren und sich nach außen abgrenzen und dabei ihre punktuelle Auflösung vor Augen führen.
In der Folge sind Bilder entstanden, bei denen sich die Streifen mittig kreuzen und in einen einheitlichen Grund gesetzt sind, auf den sie mit ihren Anordnungen und Farbgebungen wiederum reagieren, sich überlagernde Sterne und Kreuze bilden. Gewissermaßen scheinen sie in einer permanenten Bewegtheit zu sein. Diese Bilder agieren mit dem Verhältnis von Figur und Grund. Harte Kanten und scharfe Winkel bilden einen deutlichen Kontrast zum deckenden Farbraum. Und sie illusionieren eine Faktizität und Wirklichkeit, die – einige Jahre zuvor einsetzend – tatsächlich im Werk von Hans-Willi Notthoff belegt ist: Neben den Malereien sind kleine Collagen entstanden, die aus dem Neben- und Übereinander kantig geschnittener vorgefundener Papiere und Kartons – wechselnd in monochromem Ton, Textur und Oberflächenbeschaffenheit und Größe – bestehen. Als All-over hängen diese Arbeiten frei und in fragiler Überlagerung an der Wand. Die einzelne Partie geht dabei im Gesamten auf. Natürlich lassen diese Arbeiten an die ersten CARGO-Bilder denken. Notthoff hat die Papiere in ihrer Farbigkeit an unterschiedlichsten Orten aufgespürt und sie aus ihrem Sinnzusammenhang genommen. Sie evozieren nunmehr nichts, sind ganz und gar gegenstandsfrei, »erklären« und »behaupten« sich aus sich heraus und aus ihrer Nachbarschaft, als Bild.
Diese Collagen erweisen sich in Notthoffs Werk als weiterer Beleg dafür, wie er mit Farben umgeht: diese entdeckt und wahrnimmt, aneignet und erarbeitet. Alle seine Bilder konstituieren Aufmerksamkeit als Vorgang des Phänomenologischen. Bei aller Auseinandersetzung mit dem fundamentalen Bestand von Malerei selbst, bei aller Rigidität der Mittel und Maßnahmen, der Ausschließlichkeit in der malerei- und bildimmanenten Organisation: Als Strukturen und Splitter einer möglichen äußeren Wirklichkeit gehen sie über diese hinaus und liefern ein Maß der Verantwortung im Umgang mit visuellen Sensationen. Die Bilder von Notthoff verhalten sich als Korrektiv unserer Umgebung, sie schärfen den Blick und geben nichts vor. Sie stellen eine Ordnung her, die es nur hier und sonst nirgendwo zu sehen gibt, sie sind einmalig. Und bei allen theoretischen und intuitiven Überlegungen sind sie sinnlich erfahrbar, in eigener Notwendigkeit, für sich.
Von der Farbigkeit der Container am Horizont
Raimund Stecker, Kunstmuseum Baden, Solingen
60. Bergische Kunstausstellung, 2006
Dem sich zeigenden Alltag farbige Eigenheiten entnehmen, die zumeist ungesehen bleiben. Und, aus diesen farbigen Eigenheiten schöpfen, um koloristische Bild Sensationen zu schaffen, die das alltäglich Wahrzunehmende nicht referieren, dafür aber eigenständige Gültigkeiten sind. Hans-Willi Notthoff denkt sehend, sieht denken und vor allem: er nimmt weitersehend wahr – und zwar sowohl alltäglich wie künstlerisch abgeschottet dann, wenn er im Atelier seine Alltagswahrnehmungen umsetzt in Bilder die sich im Kunstkontext zu behaupten suchen.
Gleichfarbige Flächen von Plastiktüten, monochrome Gründe auf Einladungskarten einer Farbe sich verdankende Fläche… Notthoff entreißt sie ihren funktionalen Medien, indem er sie zu ungeometrischen Rechtecken schneidet, diese zueinander legt – gleichsam komponiert – und zu rein sich der Farbentwicklung verdankenden Collagen, mithin zu Bildern fixiert.
Zumeist sind diese Bilder horizontal gebaut – und sie wirken auch „nur“ wie gebaut. Nichts erinnert an ihre vormalige Funktionsträgerschaft und an nichts außerhalb ihrer selbst lassen sie unzweideutig denken. Baut Notthoff hingegen eine Collage vertikal, so kommt nahezu unweigerlich der Eindruck beispielsweise von Hochhausschluchten auf.
Geradezu umgekehrt verhält es sich mit seiner auch an Mikrosensationen reichen Malerei die er bisweilen sogar in nahezu monumentalen Formaten zum Aufscheinen bringt. Hier sind es die aus vertikal angeordneten oder gestaffelten Farbflächen komponierten Bilder, die den Blick allein an ihnen halten, die ihn nicht entschwinden lassen in die Augenwelt. Und es sind die horizontal gerichteten Malereien, die recht unmittelbar an Landschaften denken lassen.
Es gibt also dieses von medialen Eigenheiten verantwortete Wirken, das Hans-Willi Notthoff zu ergründen und zu überwinden sucht. Darum collagiert er, ohne das Malen zu lassen, und darum malt er, ohne den Collagen nur den Stellenwert von Skizzen zuzubilligen. Es gibt halt profunde Unterschiede in der Wirkung von Dingen, Collagen, Fotografien oder eben der Malerei – und diese nicht nur, wie hier exemplarisch als Thema angerissen bei gleichen Form-Farb-Phänomenen. Und solche sind weit über die Erkenntnisinteressen von Kunstliebhabern hinaus von Bedeutung.
Hans-Willi Notthoff selbst schildert (wir erinnern im Niederländischen die Bedeutungsnähe von schilderen, malen und Bilder machen) seinen Blick auf das Meer, aber das ein mit farbig unterschiedlichen, koloristisch dem Zufallsprinzip gehorchenden Containern beladener Ozeanriese die Horizontlinie entlang fährt. Lediglich farbige Rechtecke fahren dort von links nach rechts oder von rechts nach links. Das ist für ihn ein zu sehendes Bild.
Bis dann aus ihm eines von ihm für uns gemaltes oder collagiertes wird, bedarf es schließlich (wie hier ob der gebotenen Kürze nur angedeutet) der Dauer, des Experiments – eben des Weges von der Schilderung hin zur Bildwerdung, hin zum nur aus sich selbst wirkenden Kunstwerk.
17, 19, 20–22
Adolf H. Kerkhoff
In: Firenze Luglio 2002, Galerie Peter Tedden, Düsseldorf 2002
Die Natur ist für den Künstler nur ein Wörterbuch
Eugène Delacroix
Reisen bildet … nicht unbedingt, sondern erschafft Bilder – entweder im Kopf oder von Hand. Denn: „Wen einer eine Reise tut,/ So kann er was verzählen“ sagt Matthias Claudius.
Im Sommer des Jahres 2002 malte Hans-Willi Notthoff in Florenz ( als Gast der Villa Romana ) eine Reihe von Bildern.
Sie „verzählen“
– vom Handwerk des Malers als Spiel und Kampf, mithin als kämpferisches Spiel
– von der Situation der Malerei im Zeitalter des Plasmas
– von der Funktion der Malerei als statischer visueller Ironisierung
– vom unverbrauchten Blick auf verbrauchte Orte
Sie „erzählen“ sie uns nichts von der Postkartenvorderseite, sondern sie handeln von ihrer (freien) Rückseite – als Chance. Insofern sind sie eben nicht narrativ, sondern diskursiv.
Und schön: das geht.
Die abstrakte Kunst ist bekanntermaßen eine Tochter der Landschaftsmalerei. Wassilij Kandinsky, als Vater dieser Linie, hat ebendiese Herkunft später tätig negiert. Diese Negation kann man als Flucht interpretieren; denn die Tiefe des ( Landschafts-) Raumes ist die größte Herausforderung an den Flächenmaler: nicht als zu schaffende Illusion, sondern als vorgegebene Realität. Soll der Raum doch im Gemälde eben nicht als Illusion – wie etwa auf dem Bildschirm –, sondern in der Erarbeitung des Künstlers als malerische Behauptung erscheinen. Es ist keine Frage der Quantität, also der Größe, sondern eine der Qualität, also des Raffinements, die sich dem Maler im Zeitalter des Plasmas stellt; er setzt sein reales Bild in eine tendenziell virtuelle Welt, in der alles Darstellbare wie in einer ( visuellen ) Ursuppe brodelt und in der die Chance des Vergehens größer ist als die des Werdens. Das Plasma des Bildschirms ist eben nur quasi neutral.
Am Ort der Bildsetzung wohnt das Handwerk. Hat doch Hans-Willi Notthoff nicht nur „plein air“, sondern auch „contre le temps“ ( gegen die aufziehende Dunkelheit ) gemalt, was den Titel dieses Aufsatzes erklärt – Malzeit: mit dem Licht verschwindet auch das Bild. So gehen die künstlerischen Bedingungen der Bildentstehung ineins mit den Bedingungen der Zeit und des Ortes ihrer Entstehung.
So wird zum malerischen Handwerk das freie Spiel hinzuaddiert und das Ganze mit dem Kampf gegen die Zeit multipliziert: aus einem solch spannenden Kampf kann ein entspanntes Bild hervorgehen ( Florentinischer Garten V 20.30 ). Seine Spannung bezieht dieser Kampf nicht zuletzt auchaus visueller Ironisierung – man stelle sich einerseits die Choreographie des Malers vor der Leinwand vor und betrachte andererseits die Ergebnisse. Die motivische Kontemplation birgt Aspekte einer visuellen Ironisierung, im Sinne einer wiederzusammengesetzten Brechung des „motivischen Sinns“.
Pinien ( Via Senese I 19.00, Via Senese II 19.00) treten wie Fallschirme auf und der Florentiner Dom ( Dom I 17.00, Dom II 17.00) erscheint wie eine Fabrik des Glaubens – die subtile Umkehrung der historischen Kitschphrase von den Fabriken als den Kathedralen der Arbeit.
Tatsächlich verlangt es einigen malerischen Mut, mit einem gewollt unverbrauchten Blick auf scheinbar verbrauchte Orte wie die Umgebung der Villa Romana in Florenz zu schauen: alles schon tausendmal gemalt.
Die Rettungsinsel des Hans-Willi Notthoff im Meer der malerischen Phrasen seiner künstlerischen Vorgänger ist die Anwendung seiner abstrakten Form- und Farbprinzipien auf die realen Schönheiten vor Ort: der Konter seiner stringenten Linienführung mit und gegen die lasierend gemalten Binnenflächen, mit und gegen die raumbildende Kraft der Farbe. Diese Prinzipien treten in den neuen Gemäldennun im Kleid gegenständlicherDarstellungin Erscheinung.
Hans-Willi Notthoff inszeniert seine Bilder in Gegenüberstellung mit großen handgemachten Zusammenspielen selbst abgeschätzter Farbauszüge.
Diese Rauminstallation ist Sinnbild seines künstlerischen Credos.
Denn trotz aller Schönheit der einzelnen Werke ist seine Arbeit keine künstlerische Entspannungsübung von der, sondern malerische Anwendung auf die Welt.
outdoor indoor
Ein Zwischenbericht
Carl Friedrich Schröer
Galerie Peter Tedden, Düsseldorf 1999
Reisen bildet. Im Sommer 1997 und Frühjahr 1998 unternahm der Maler Hans-Willi Notthoff von Düsseldorf aus zwei Reisen in ihm unbekannte Weltgegenden, in die argentinischen Anden und auf die Karibikinsel Tobago. Natürlich haben sie Spuren in den Bildern hinterlassen. In der Auseinandersetzung mit der fremden Umgebung konnte der reisende Maler seine Bildwelt in Frage stellen und die selbst gesetzten Regeln überprüfen.
Schon drei Jahre zuvor war der Meisterschüler Gotthard Graubners auf seiner Reise durch die Malerei einer inneren Bewegung gefolgt und hatte zunächst in der Eifel Landschaft, Figur und Gegenstände der Außenwelt, das heißt außerpersönliche Realität, als mögliche neue Motive erkannt und zugelassen.
Läßt sich seine bildnerische Entwicklung bis dahin als eine von architektonischen Gebilden ausgehende Untersuchung elementarer Grundfragen der Malerei beschreiben – z.B. wie Formen und Farben im Verhältnis zur Fläche im Bild zu organisieren sind –, verlangt nun diese radikal innerkünstlerische Fragestellung ein Gegenüber: nämlich die Welt, die unabhängig außerhalb der künstlerischen Fragen besteht.
Vollzog sich die Reduktion im Atelier, fordert die Rückbesinnung auf die umgebende Realität Öffnung, ein Sich-körperlich-in-der-Natur-Befinden. In dieser Perspektive haben nicht nur die beiden Reiseerlebnisse Notthoffs Bilder verändert, sondern der Maler nahm die Gelegenheit wahr, das schon zuvor gewachsene Interesse seine Bilderwelt zu erweitern, in radikal anderer Umgebung herauszufordern. Tropische Vegetation und extreme Lichtverhältnisse provozierten, die zuvor entwickelten Bildmittel voranzutreiben. Bei der Umsetzung des vor Ort notierten Motivs im Atelier in große Bildformate erfährt diese Motivwelt eine Vereinfachung und Formalisierung.
Wo sonst konkrete Formen den Bildraum verschränken, sind es jetzt Bananenblätter und Palmenstämme, die sich in solcher Weise überschneiden, daß sie ein Eindringen in die Bildtiefe verhindern und so die Bildfläche als Ort der Malerei thematisieren.
Auf der Reise ins Ferne hat Hans-Willi Notthoff die Art und Weise untersucht, wie Landschaft durch visuelle Umsetzung ein Fokus für die Formulierung von künstlerischer Identität sein kann.
Wer reist sucht.
Carl Friedrich Schröer www.eiskellerberg.tv
Hans-Willi Notthoff
Reinaert van Wijk
In: Hans-Willi Notthoff, Kunstverein Bremerhaven, 1994
Ahnungslos tappt er in die Bilder Amerikas. Nimmt sie bereitwillig auf, glaubt sie und identifiziert sich damit.
Erst sind es TV-Serien wie „Lassy“ und „Fury“. Später liegt das Radio unter dem Kopfkissen; Rockmusik auf der rauschenden, knisternden Mittelwelle – das ist wahnsinnig aufregend. Mit 16 Jahren sieht er „Easy Rider“ – die Write, das Fahren, das Anders-Sein. Warhols „International Velvet“ – da ist es wieder, diese Andres-Sein. All diese Bilder treffen ihn, eröffnen ihm eine neue Welt. Die Entscheidung zur Malerei ist schon gefallen als er Wenders’ frühen Filmen begegnet. Diese Filme kommen nicht aus Amerika, sondern wie Hans-Willi Notthoff, aus Deutschland. Sie handeln von „seinem“ Amerika und seinen Bildern. Er versteht die Filme zutiefst. Da ist es wieder dieses Gefühl der Sehnsucht, der Einsamkeit, der Weite, der Leere und des Fahrens. Später erst begreift er die anderen Dimensionen dieser Filme. Hopper und Rothko, seine nächsten großen Erlebnisse – auch hier wieder diese Romantik.
Daneben treibt Notthoff aber ein kühleres Motiv: die Freude an der Form. Die anonyme Malerei an Autobahnbrücken begeistert ihn in ihrer entschiedenen Ausführung. Wo durch das Übermalen mit Grau die banale Botschaft zu entfernen versucht wird, entstehen malerische Ereignisse, weil das darunterliegende Betongrau nicht genau getroffen wird. Das nachgemachte und darübergemalte Grau ist immer mindestens eine Nuance anders, zeigt dadurch Formen, die einer nicht sichtbaren Logik zu folgen scheinen. Das gleiche gilt für ausgebesserte Stahltore oder geflickte Asphaltflächen. Frei von jedem ästhetischen Formwillen, rein der Funktion folgend, entstehen Formen, Kompositionen, Kontraste, Farbschichten und Oberflächen, die Notthoff als Materialvorrat in sein bildnerisches Alphabet aufnimmt.
Auf Reisen trägt er stets eine Kamera bei sich, mit der er Notizen macht und Momente seines Amerika festhält. Mittlerweile begegnet es ihm Überall, zum Beispiel in der Form einer Scheune in Umbrien, im Braun Andalusiens, in Industriekomplexen beliebiger Vorstädte, in den Dächern eines münsterländischen Gehöftes oder in einer Wuppertaler Tankstelle. Im Atelier werden aus diesen Notizen und Erinnerungen skizzenhafte Bildentwürfe, die in einem nicht planbaren Arbeitsprozeß zu Bildern geformt werden.
Dem Wachstumsprozeß einer Stadt nicht unähnlich, baut Notthoff seien Bilder Schicht für Schicht. Mit direktem Farbauftrag bemalt er eine Vielzahl von Leinwänden unterschiedlicher Formate. Das ist seine Art, die Motive zu untersuchen. Im Verlauf des Malens machen die Bilder dann zunehmend eigene Vorschläge zu ihrer Weiterbehandlung. Spielerisch folgt er diesen „Bild-Vorschlägen“, die von Variationen bis zu völlig anderen Motiven führen können. Am Ende bleiben nur wenige, die er als Bild akzeptiert.
Die Farbigkeit strebt nach Ausgewogenheit und Harmonik. Nicht in der Addition reiner Farben, sondern in dem Verhältnis reiner und gebrochener Töne zueinander erzielt Notthoff den eigenwillig-spröden Reiz seiner Bilder.
Kein Element ist dabei ohne die anderen haltbar. Die stumpfen Farbfelder würden ohne die leuchtend kontrastierenden töne zu unsäglicher Langeweile absinken. Die kleineren starkfarbigen Flächen würden ohne das Gegengewicht der zentralen dunklen Monumentalformen aus dem Bild fliegen.
Es besteht eine komplexe Verspannung von Farb- und Formelementen, die einen Raum entstehen lassen, der jenseits des Gegenständlichen liegt. Die räumliche Wirkung der Farbe steht dabei im Widerspruch zu der räumlichen Wirkung der Linearkomposition.
Es sind Bilder, die zwischen reiner Malerei und landschaftlicher Assoziation hin- und herklappen. Dieses Pendeln, diese Ambivalenz, versetzt die Bilder in einen Zustand des Schwebens.
Zu den Bildern von Hans-Willi Notthoff
Harl-Heinz Heming
Kunstpreis Villa Romana Florenz, 1993
„Sich nach den Dingen, oder die Dinge nach sich richten ist eins.“
Novalis, Fragmente
Die assoziative Grundlage der Gemälde von Hans-Willi Notthoff sind Architekturbeobachtungen. Trotzdem – es sind keine Architekturdarstellungen. Nicht der plastische Raum, sondern das Verhältnis des Malers zur Fläche ist bildprägend. Die Bilder selbst entstehen in einem aufbauenden Malprozeß. Farbschichtungen lassen Diagonalen, Überschneidungen, Transparenzen entstehen. Die Grundlage des Architektonischen, die Statik, fehlt scheinbar im Gefüge der Flächen, Strukturen.
Die Formen kippen, schweben und fliegen. Reine Abstraktion und Konstruktion?
Die malerischen Formen entstehen aus der reinen Farbe. Die Raumwahrnehmung wechselt in der Bewegung, und die geringe Plastizität der aufgetragenen Farbe bewirkt einen kinetischen Effekt. Der Betrachter weiß immer um die Bildfläche; er bemerkt das Illusionshafte des Räumlichen.
Durch seine Malarbeit distanziert sich Notthoff vom Abbildhaften. Seine Bilder sind zwar Reaktionen auf Eindrücke und Wahrnehmungen, aber vor allem sind sie poetische Findungen von Farben, Farbformen und -konstellationen. Das wesentliche Prinzip in seinen Bildern ist der für den genauen Beobachter (teilweise) ablesbaren Malprozeß. Schichtungen, Lasuren, Rasuren, Spachtelungen, harte Abgrenzungen, feinste Nuancierungen stehen neben- und gegeneinander.
Schichten lassen Untergrundfarben als konstruktive Bildelemente durchblitzen. Es entwickelt sich eine „Farbstatik“ innerhalb der Bildfläche, außerhalb konstruktiver, illusionistischer Ordnung. Die Bilder erhalten eine innere Schlüssigkeit.
Im Gespräch wird deutlich, wie wichtig das Licht für die Bildfindung ist. Die Tages- und Jahreszeiten in der Herstellung spiegeln sich in der Farbigkeit der Bilder. So wird nun das gänzlich andere Licht Italiens für seine Folge von Bildern wirksam. Die Arbeiten aus der Villa Romana heben sich folgerichtig deutlich ab von Werken aus dem niederrheinischen Atelier.
In Notthoffs komplexen Malvorgang sind die Deutungsmöglichkeiten der Farben weit gesteckt. Der Künstler weist mich auf eine persönliche Seite der Farbwahl hin, die subjektive Verarbeitung der visuellen Erfahrung. So kann ein schokoladeartiges Braun mit der Farbe eines ölig gestrichenen Treppensockels im elterlichen Haus der 60er Jahre in Verbindung gebracht werden. Ebenso wie ein helles Türkis auf die damals typische Farbe eines hölzernen Treppengeländers oder lackierter Küchenmöbel verweist.
Rudimentäre Erinnerungen fließen so neben konkreten Beobachtungen und freien Ideen in die Bilder ein.
Poetische Erfindung, Bauen mit Farbe, Farbwahrnehmung, Einflüsse des Lichtes, persönliche Erinnerung faßt Notthoff in seinem Werk zusammen.